medialex 4/2002 vom 11.2002
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Das neue Filmrecht: Durch Selbstregulation zur Vielfalt?
Christoph Beat Graber
Dr. iur., Rechtsanwalt, Professor an der Universität Luzern
Zusammenfassung: Das Hauptziel des neuen Filmrechts ist die Förderung der Angebotsvielfalt. Erreicht werden soll es auf dem Wege freiwilliger Selbstkontrolle durch die Branche selbst. Zu diesem Zweck haben sich die Unternehmen, die dem Verband der Filmverleiher und Kinobesitzer angeschlossen sind, in einer Branchenvereinbarung geeinigt, auf wettbewerbsbeschränkende Abreden zu verzichten. Weil die Durchsetzbarkeit dieser Selbstbindung zweifelhaft ist, wird die Wirksamkeit des Gesetzes letztlich vor allem vom neuen Ombudsmann abhängen, der mit der Vereinbarung geschaffen wird. Dieser kann auf Beschwerde hin oder von Amtes wegen fehlbaren Verleih- oder Vorführunternehmen konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Angebotsvielfalt im Kino unterbreiten. Sollte die Selbstregulation der Branche nicht funktionieren, so droht als ultima ratio eine Lenkungsabgabe zur Vielfaltsförderung, welche das Departement des Innern in der Höhe von maximal 2 Franken pro Eintritt vorübergehend einführen kann.
Résumé: Le but principal de la nouvelle loi sur le cinéma est l'exigence d'une offre diversifiée. Il doit être atteint par l'autocontrôle volontaire de la branche elle-même. Les entreprises affiliées au groupement des distributeurs de films et des propriétaires de salles ont ainsi renoncé à des clauses de restriction à la concurrence, en s'unissant par une convention valable pour la branche. Le caractère exécutable de cette auto-soumission étant douteux, l'efficacité de la loi dépendra surtout en dernier lieu du nouvel ombudsman qui sera institué par la convention. En effet, ce dernier, sur plainte ou d'office, a le pouvoir de soumettre des propositions concrètes pour améliorer la diversité de l’offre cinématographique lorsque des entreprises de distribution ou de projection commettent une faute. Si l'autorégulation de la branche ne devait pas fonctionner, il reste comme ultima ratio la menace d'une taxe fédérale temporaire.
Am 1. August 2002 ist das neue Filmgesetz (FiG) samt dazugehörender Verordnung (FiV) in Kraft getreten. Die wichtigsten Neuerungen betreffen erstens die Modernisierung der Filmförderung und zweitens steuernde Vorschriften zum Schutz der Angebotsvielfalt im Kino. Sie stützen sich auf die in Art. 71 der Schweizerischen Bundesverfassung verankerten Kompetenzen des Bundes.
Die wichtigsten Neuerungen
Im Bereich der Filmförderung wurden zunächst für die Verleihförderung und die erfolgsabhängige Filmförderung klare gesetzliche Grundlagen geschaffen. Neu sind auch die Förderkonzepte, die den Bund zur Evaluation der in den Artikeln 4 bis 7 FiG formulierten Ziele und Instrumente verpflichten. Das Bundesamt für Kultur (BAK) wird inskünftig alle drei bis fünf Jahre überprüfen müssen, ob die zur Förderung des Schweizer Filmschaffens (Art. 3 und 7), der Vielfalt und Qualität des Filmangebots (Art. 4), der Filmkultur (Art. 5) sowie der Aus- und Weiterbildung (Art. 6) getroffenen Massnahmen die hierfür festgelegten Ziele erfüllt haben. Diese Evaluation bildet auch die Grundlage für Leistungsvereinbarungen mit Filmfestivals und anderen regelmässigen Bezügern von Finanzhilfen. Das hier platzgreifende Verfahren wird in einer noch nicht verabschiedeten Departementsverordnung zur Filmförderung geregelt werden.
Im Bereich der Angebotsvielfalt werden die Vorschriften zur Steuerung des Marktes mit dem neuen Gesetz liberalisiert: Die frühere Bewilligungspflicht für Verleihunternehmen und Kinos wird durch eine blosse Registrierungs- und Meldepflicht ersetzt. Oberstes regulatorisches Ziel ist die Förderung der Angebotsvielfalt in den Kinos. Gemäss Art. 18 FiG ist die Angebotsvielfalt in einer Kinoregion gewährleistet, wenn die angebotenen Filme in genügender Anzahl aus verschiedenen Ländern stammen, unterschiedlichen Genres angehören und verschiedene Filmstile repräsentieren. Dieses Ziel soll grundsätzlich durch die Branche selbst in freiwilliger Leistung erbracht werden.
Neuer regulatorischer Weg zur Vielfaltsförderung
Lässt sich ein vielfältiges Kinoangebot auf freiwilliger Basis erreichen? Das neue Recht geht davon aus: Das Bewilligungssystem wird fallengelassen, ohne dass an seine Stelle die wettbewerbssteuernden Instrumente treten würden, die der Vorentwurf der Kommission Moor von 1999 vorgeschlagen hatte. Nach dem Vorbild kartellrechtlicher Regeln wollte dieser dem BAK die Möglichkeit geben, wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen der Marktteilnehmer wie Blockbuchen, Exklusivbelieferungen oder Vor- und Nachspielsperren zu sanktionieren. Intensives Lobbying der grossen Verleih- und Kinounternehmen veranlasste den Gesetzgeber schliesslich dazu, diese interventionistischen Instrumente durch das Konzept der freiwilligen Selbstkontrolle zu ersetzen.
Damit die Selbstkontrolle nicht ein leeres Versprechen bleibt, werden die Verleiher und Kinobesitzer gezwungen, die freiwilligen Massnahmen, welche die Angebots- und Sprachenvielfalt sichern sollen, in einer Branchenvereinbarung festzulegen. Der Bund ist selbst nicht Partner einer solchen Vereinbarung. Er hat bloss das Recht, im Entwurfsstadium Stellung zu beziehen (Art. 17 Abs. 3 FiG), eine Genehmigung
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erfolgt jedoch nicht. Eine erste solche Vereinbarung ist vom Kino- und Verleihverband ProCinema erarbeitet worden und rechtszeitig auf den 1. August 2002 in Kraft getreten. Dieser Vereinbarung sind die wichtigsten Akteure im Markt beigetreten, so dass ihr kaum eine weitere folgen wird. Die Procinema-Vereinbarung arbeitet jedoch vor allem mit «Appellvorschriften»: So werden die Unterzeichner der Vereinbarung aufgerufen, auf Blindbuchen (Reservation bestimmter Spieldaten, ohne dass der zur Auswertung vorgesehene Film bekannt ist), Blockbuchen (Film A wird nur zusammen mit den Filmen B und C verliehen) zu verzichten, Filme möglichst auch in der Originalversion zu zeigen und die ohnehin in Art. 19 FiG statuierte Verpflichtung zu respektieren, Filme nur dann in der Schweiz zu verleihen, wenn das Verleihunternehmen die Rechte für alle im Lande zur Verwertung gelangenden Sprachversionen besitzt.
Die Hoffnung ruht auf dem Ombudsmann
Hätte die Vereinbarung bei diesen Soft-Normen ihr Bewenden, so müsste wohl das Scheitern des neuen Gesetzes prognostiziert werden. Indessen schafft ProCinema in Ziffer 4.1 eine Ombudsstelle, die nicht nur Klagen von Behörden, alternativen Filmverleihern und Kinobetrieben sowie filminteressierten Organisationen entgegennimmt, sondern auch vom Publikum. Wird eine Klage eingereicht, so vermittelt die Ombudsstelle zwischen Klägern und Betroffenen und versucht, eine der Erhaltung und Förderung der Angebotsvielfalt dienliche Lösung zu finden. Ein Hauptproblem wird darin bestehen, die für die Bewertung der Angebotsvielfalt entscheidenden Begriffe «Genre» und «Stil» zu definieren, zumal sie in der Branche nicht einheitlich verwendet werden. Falls die Schlichtung misslingt, steht es der klagenden Partei frei, an ein von ProCinema eingesetztes Verbandsgericht zu gelangen, dessen Urteil auf dem ordentlichen Instanzenweg weitergezogen werden kann.
Mit dem Amt des Ombudsmannes hat ProCinema den Genfer Kinoexperten Willi Wachtel betraut, in den Branchenkenner grosse Hoffnungen setzen. Der Bund verstärkte Wachtels Position dadurch, dass er ihn auch in die Filmkommission wählte. Der Erfolg der Selbstregulation wird entscheidend vom Geschick abhängen, das der Ombudsmann im Kontakt mit «schwarzen Schafen» der Branche an den Tag legen wird.
Für den Fall, dass die freiwillige Selbstkontrolle scheitert, sieht das Gesetz als ultima ratio eine Lenkungsabgabe zur Vielfaltsförderung vor. Kommt das BAK im Rahmen seiner regelmässigen Marktanalyse zum Ergebnis, dass die Angebotsvielfalt in einer Region des Kinomarktes mangelhaft sei, so erlässt es nicht etwa eine Verfügung, sondern beschränkt sich darauf, die ihr vorliegenden und mit Kommentar begleiteten Statistiken zu veröffentlichen. Das BAK gibt den wichtigsten Unternehmen der Filmbranche in der betroffenen Region Gelegenheit, zur Evaluation Stellung zu nehmen (Art. 4 FiV). Unternehmen welche die Angebotsvielfalt verletzen und keiner Branchenvereinbarung angehören, werden aufgefordert, diese wiederherzustellen. Im Sinne einer ergebnisorientierten Gesetzgebung schreibt das BAK nicht vor, was die fehlbaren Akteure zu tun haben, das obliegt im Rahmen der Selbstverpflichtung den betroffenen Unternehmen. Das BAK geht jedoch davon aus, dass der Ombudsmann konkrete Vorschläge unterbreiten wird. Erst wenn eine Nachevaluation ergibt, dass die Vielfalt nicht wiederhergestellt wurde, kann das BAK dem Departement den Antrag stellen, die Förderabgabe von maximal 2 Franken pro Eintritt vorübergehend einzuführen.
Auch in diesem Diskurs zwischen Behörden und Branche kommt die Idee der Ko-regulation zum Ausdruck, die das neue Filmrecht prägt. Mit den vorgesehenen Instrumenten soll keine inhaltlich ansetzende Kulturpolitik betrieben, sondern in einem zwei bis drei Jahre dauernden Verfahren begriffsstutzigen Unternehmen behutsamer «Nachhilfeunterricht» in Sachen Angebotsvielfalt erteilt werden. Das BAK hofft, die Branche zur Erkenntnis zu bringen, dass die Angebotsvielfalt allen dient. ■