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fampra.ch 03/2009 von 01.09.2009

FamPra.ch-2009-791

3.5 Kinderschutz - Protection de l'enfant

Nr. 80 Bundesgericht, II. Zivilabteilung Entscheid vom 16. April 2009 i.S. X. gegen Z. - 5A_105/2009

Art. 3 lit. a Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ): Trennung von der Hauptbezugsperson als Ausschlussgrund für die Rückführung, Voraussetzungen. Entsprechend dem Sinn und Zweck des HKÜ sind Ausschlussgründe eng auszulegen. Was den Ausschlussgrund von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ betrifft, reichen wirtschaftliche Gründe nicht aus. Ebensowenig bedeutet die Trennung des Kindes von seiner Hauptbezugsperson in jedem Fall einen Versagensgrund für die Rückführung. Allerdings wird ein knapp zweijähriges Kind, das noch nicht umgebungs-, sondern vollständig personenbezogen ist, durch die Trennung von der Hauptbezugsperson in eine unzumutbare Lage versetzt. Weigert sich der entführende Elternteil allerdings nicht grundsätzlich das Kind in den Herkunftsstaat zu begleiten, ist die Rückführung trotzdem möglich, sofern sichergestellt ist, dass keine Trennung stattfindet.

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Art. 3 let. a Convention de la Haye sur les aspects civils de l'enlèvement international d'enfants (CLaH): Séparation d'avec la personne de référence principale en tant que motif d'exclusion du retour, conditions. Conformément à l'esprit et au but de la ClaH 80, les motifs d'exclusion doivent être interprétés de manière restrictive. En ce qui concerne le motif d'exclusion de l'art. 13 al. 1 let. b ClaH, des motifs économiques ne suffisent pas. De même, la séparation de l'enfant d'avec sa personne de référence principale ne constitue pas non plus dans tous les cas un motif empêchant un retour. Toutefois, pour un enfant de 2 ans à peine, qui n'est pas encore lié à son environnement mais a uniquement des relations personnelles, la séparation d'avec sa personne de référence principale le place dans une situation qu'on ne peut exiger de lui. Si le parent ayant commis l'enlèvement ne s'oppose néanmoins pas en principe à accompagner l'enfant dans le pays d'origine, le retour est tout de même possible, dans la mesure où il est garanti qu'aucune séparation n'aura lieu.

Art. 3 let. a Convenzione dell'Aja sugli aspetti civili del rapimento internazionale di minori: Separazione dalla persona di riferimento quale motivo che esclude il rientro, presupposti. Conformemente a senso e scopo della Convenzione dell'Aja sugli aspetti civili del rapimento internazionale di minori, i motivi che escludono il rientro vanno interpretati con riserbo. Per quanto attiene al motivo di esclusione menzionato dall'art. 13 cpv. 1 let. b della Convenzione dell'Aja sugli aspetti civili del rapimento internazionale di minori, motivi economici non sono sufficienti. Parimenti, la separazione del minore dalla sua persona di riferimento non costituisce in ogni caso un motivo di rifiuto per il rientro. In tutti i casi, un minore di nemmeno due anni, il quale non è ancora legato all'ambiente bensì totalmente alle persone, con la separazione dalla persona di riferimento viene posto in una situazione intollerabile. Qualora il genitore rapitore non si rifiuti di principio di riaccompagnare il minore nello stato di origine, ordinare il rientro è comunque possibile, qualora sia garantito che non avvenga alcuna separazione.

Sachverhalt:

Z. (geb. 1963) und X. (geb. 1969) trafen sich am 17. März 2006 erstmals, nachdem sie sich über Internet kennen gelernt hatten. Sie zogen nach Pennsylvania und am 27. April 2007 kam der gemeinsame Sohn Y. zur Welt.

Die Beziehung gestaltete sich schwierig. Nach Streitigkeiten, welche die Mutter als für sie sehr bedrohlich schildert, verliess sie mit Y. den gemeinsamen Haushalt und erwirkte am 10. Dezember 2007 einen temporary protection from abuse order, mit welchem dem Vater jeder Kontakt zu seinem Sohn untersagt wurde.

Am 20. Dezember 2007 erteilte der Court of Common Pleas of Centre County, Pennsylvania, der Mutter die primary physical custody über Y. und dem Vater die partial physical custody für genau festgelegte Besuchszeiten; ferner ordnete das Gericht an, dass das Kind nicht ohne Zustimmung beider Parteien aus dem Centre County entfernt werden dürfe (the child is not to be removed from Centre County without the consent of both parties). Am 9. Januar 2008 wurde den Parteien ein geteiltes Sorgerecht zugesprochen (X. («Father») and Z. («Mother») shall share legal custody of the child) und festgehalten, dass weiterhin die am 20. Dezember 2007 getroffene Obhutsregelung gelten soll (Physical custody of the child shall remain as provided by the court in the Order dated December 20, 2007 and filed December 21, 2007).

Im gleichen Entscheid vom 9. Januar 2008 erlaubte das Gericht der Mutter, gemeinsam mit ihrem Sohn vom 11. Januar 2008 bis längstens 26. Januar 2008 in die

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Schweiz zu reisen (Mother shall be permitted to travel with the child to Switzerland on or about January 11, 2008. Mother shall return with the child to the United States on or before January 26, 2008, when custody shall resume pursuant to the Court's previous order until otherwise ordered by this court or mutually agreed upon between the parties). Die Mutter kehrte indessen nicht zeitgerecht in die USA zurück; ein Gesuch um Verlängerung des Aufenthaltes in der Schweiz wies das Gericht mit Entscheid vom 13. Februar 2008 ab. Trotzdem blieb die Mutter mit ihrem Sohn in der Schweiz.

Gestützt auf das Gesuch des Vaters um Rückführung von Y. vom 13. Mai 2008 hin befahl das Bezirksgericht Meilen der Mutter mit Verfügung vom 20. Oktober 2008, das Kind innert 30 Tagen nach Rechtskraft der Verfügung auf ihre Kosten in die USA zurückzubringen oder zurückbringen zu lassen.

Im Zuge des dagegen eingereichten Rekurses der Mutter ordnete das Obergericht des Kantons Zürich mehrere Massnahmen zur Sicherstellung der allfälligen Vollstreckung des Rückführungsentscheides an. Zudem ersuchte es die schweizerische Zentralbehörde, Fragen betreffend Einreise, Aufenthalt, Lebens- und Arbeitsgrundlagen sowie medizinische Versorgung mit den amerikanischen Behörden zu klären bzw. von diesen klären zu lassen. Nach Eingang der betreffenden Antworten seitens der amerikanischen Zentralbehörde sowie je einer eidesstattlichen Erklärung (sworn affidavit) des Vaters bzw. seiner Anwältin sowie eines Schreibens des Grossvaters hiess das Obergericht den Rekurs mit Beschluss vom 26. Januar 2009 gut und wies das Rückführungsbegehren ab.

Gegen diesen Beschluss hat der Vater am 12. Februar 2009 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren um Aufhebung von dessen Ziff. 1 bis 3 und 5 sowie um «Abweisung des Rekurses» (gemeint: Anordnung der Rückführung). Die Mutter hat in ihrer Vernehmlassung vom 27. Februar 2009 auf Abweisung der Beschwerde geschlossen. [...]

Aus den Erwägungen:

2.

Das HKÜ zielt auf eine Wiederherstellung des Status quo ante durch möglichst rasche Rückführung widerrechtlich verbrachter oder zurückgehaltener Kinder (Art. 1 lit. a HKÜ). Unbestrittenermassen hatte Y. vor dem Verbringen in die Schweiz seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den USA; er wurde dort geboren und hatte das Land vorher nie verlassen. Das HKÜ ist somit grundsätzlich anwendbar.

Inwieweit der Vater aufgrund der ihm zugeteilten partial physical custody und der geteilten legal custody über eine von Art. 3 Abs. 1 lit. a HKÜ geschützte Sorgerechtsposition verfügt, muss nicht abschliessend beurteilt werden. Die Widerrechtlichkeit des Zurückhaltens im Sinn dieser Bestimmung ist jedenfalls damit gegeben, dass das Kind nach der Anordnung des Court of Common Pleas of Centre County, Pennsyl-

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vania, vom 20. Dezember 2007 nicht ohne Zustimmung beider Elternteile aus dem Centre County verbracht werden durfte bzw. die Reise in die Schweiz gemäss Entscheid vom 9. Januar 2008 nur für die Zeit vom 11. bis 26. Januar 2008 erlaubt wurde.

Diese so genannte non removal clause fällt in den Schutzbereich des HKÜ, weil sich der Umfang des Sorgerechts im Sinn von Art. 3 HKÜ nach dem Recht des Herkunftsstaates bemisst (Urteil 5A_713/2007, E. 3). Ferner macht die Mutter vor Bundesgericht nicht mehr geltend, dass der Vater seine Rechte vor dem Verbringen gar nicht ausgeübt habe und es insofern an der Rückführungsvoraussetzung von Art. 3 Abs. 1 lit. b HKÜ gebreche; dies würde denn auch nicht den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen entsprechen.

Beim Rückführungsentscheid darf weder über die elterliche Sorge noch über die Obhut befunden werden; vielmehr bleibt die betreffende Entscheidung dem Richter des Herkunftsstaates vorbehalten (Art. 16 und 19 HKÜ). Alleiniges Thema des Rückführungsprozesses ist die Prüfung der Voraussetzungen für die Rückführung; sind diese gegeben, muss die Rückführung ohne materielle Prüfung angeordnet werden, soweit nicht ausnahmsweise einer der Ausschlussgründe im Sinn von Art. 12 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1 oder 2 oder Art. 20 HKÜ gegeben ist (BGE 133 III 146 E. 2.4 S. 149).

3.1-3.2 [...]

3.3 Entsprechend dem Sinn und Zweck des Rückführungsübereinkommens sind Ausschlussgründe eng auszulegen. Was denjenigen von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ anbelangt, reichen irgendwelche wirtschaftlichen Nachteile nicht aus (Entscheide 5P.310/2002, E. 3.1; 5P.71/2003, E. 2.2; 5P.354/2004, E. 3). Eine schwerwiegende Gefahr körperlicher Schädigung liegt erst vor, wenn ein Kind beispielsweise in ein Kriegs- oder Seuchengebiet zurückzuführen wäre, aber auch, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass es nach der Rückgabe misshandelt oder missbraucht würde und nicht zu erwarten wäre, dass die zuständigen Behörden des Herkunftsstaates gegen die Gefährdung erfolgreich einschreiten würden (Raselli/Hausammann/Möckli/Urwyler, Ausländische Kinder und andere Angehörige, in: Ausländerrecht, Basel 2009, N. 16.164).

Ebenso wenig ist im Rückgabeverfahren Platz für Überlegungen, bei welchem Elternteil oder in welchem Land das Kind besser aufgehoben oder welcher Elternteil zur Erziehung und Betreuung der Kinder besser geeignet sei (BGE 131 III 334 E. 5.3 S. 341; 133 III 146 E. 2.4 S. 149); der Entscheid darüber ist, wie erwähnt, dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vorbehalten (Art. 16 und 19 HKÜ). Keine schwerwiegende seelische Schädigung begründen insbesondere anfängliche Sprach- und Reintegrationsschwierigkeiten, wie sie sich bei Kindern ab einem gewissen Alter mehr oder weniger zwangsläufig ergeben (BGE 130 III 530 E. 3 S. 535).

Was die Trennung von Mutter und Kind im Speziellen anbelangt, gilt es zunächst zu beachten, dass sich das Kriterium der Unzumutbarkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat auf das Kind selbst und nicht auf seine Eltern bezieht. Das heisst, dass es unter Umständen zu einer Trennung zwischen dem Kind und seiner Hauptbezugsperson kommen kann, was aber nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für sich

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allein noch keinen Versagensgrund für die Rückführung bildet (BGE 130 III 530 E. 3 S. 535); auch die herrschende Lehre zum HKÜ vertritt diese Ansicht (Staudiunger/Pirrung, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Aufl., Berlin 1994, N. 683 und 684 Vorbem. zu Art. 19 EG BGB; SCHMID, Neuere Entwicklungen im Bereich der internationalen Kindesentführungen, in: AJP 2002, S. 1333; Bach/Gildenast, Internationale Kindesentführung, Bielefeld 1999, Rz. 131; Kuhn, Ihr Kinderlein bleibet, so bleibet doch all, in: AJP 1997, S. 1099). Anders verhält es sich allerdings bei Säuglingen; hier bringt eine Trennung von der Mutter das Kind in jedem Fall in eine unzumutbare Lage (Bucher, L'enfant en droit international privé, Basel 2003, Rz. 471; Raselli/Hausammann/Möckli/Urwyler, a.a.O., N. 16.164). Im Zusammenhang mit der Trennung hat das Bundesgericht ferner betont, dass sich nicht als Ausrede auf eine Gefahr berufen kann, wer diese durch Ablehnung der Begleitung des Kindes selbst geschaffen hat (BGE 130 III 530 E. 2 S. 535 m.w.H.). Ansonsten könnte der Entführer durch eine entsprechende Erklärung frei über den Ausgang des Rückführungsverfahrens verfügen; der zitierten Rechtsprechung liegt aber auch der Gedanke zugrunde, dass die Eltern, welche für ihr Kind die Verantwortung tragen und dem Kindeswohl verpflichtet sind, dieses letztlich zu begleiten haben, soweit ihnen dies objektiv und subjektiv möglich ist.

3.4 Im zu beurteilenden Fall geht es um die Rückführung von Y., der rund ein Jahr und elf Monate alt ist und teilweise noch gestillt wird. Auch wenn ein Abstillen zumutbar sein dürfte, da sich ein knapp 2-jähriges Kind nicht mehr im eigentlichen Säuglingsalter befindet, ist Y. nach wie vor ein Kleinkind, das nicht umgebungs-, sondern vollständig personenbezogen ist. Aus der Perspektive von Y. ist nicht zentral, ob er in den USA oder in der Schweiz lebt, sondern dass er seine Hauptbezugs- und Betreuungsperson nicht verliert. Vorliegend ist die Mutter seit seiner Geburt die Hauptbezugsperson und seit dem Scheitern der Beziehung zwischen Vater und Mutter vor über einem Jahr sogar die ausschliessliche Bezugsperson. Vor diesem Hintergrund ist eine schwerwiegende Gefährdung von Y. im Sinn von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ zu befürchten, wenn er im Zuge der Rückführung abrupt von seiner Mutter getrennt würde.

Käme es im Zusammenhang mit der Rückführung zu einer Trennung von der Mutter und einer Übergabe an den Vater, ist weiter zu bedenken, dass Y. kaum eine aktive Erinnerung an diesen haben dürfte: Er hatte mit dem Vater nur in den ganz ersten Lebensmonaten richtigen Kontakt. Gesehen hat er ihn zum letzten Mal vor rund einem Jahr, als er im Frühling 2008 für einige Tage in die Schweiz auf Besuch kam. Seither hat der Vater mit dem Kind einzig über Skype «Kontakt», womit aber Y. angesichts seines Alters noch keine persönliche Beziehung zu ihm aufbauen konnte. Im Übrigen erscheint es auch höchst fraglich, ob der Vater überhaupt für Y. sorgen könnte oder ob er in den USA nicht zwangsläufig fremdplatziert werden müsste: Der Vater leidet an einem chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS, cronic fatigue syndrome), was indikationsgemäss bedeutet, dass ihn jede Tätigkeit sehr schnell ermü-

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den lässt bzw. jede Anstrengung zu einer anhaltenden Verschlechterung des Zustandes führt; er lebt denn auch von einer Invalidenrente. Zudem ist aktenkundig, dass die Mutter während des Zusammenlebens einen temporary protection from abuse order erwirken musste.

Angesichts dieser konkreten Umstände ist Y. eine Trennung von der Mutter nicht zumutbar. Der vorliegende Fall zeichnet sich aber durch die Besonderheit aus, dass sich die Mutter im Unterschied zu vielen Fällen, mit denen sich das Bundesgericht zu befassen hatte, in ihren bisherigen Eingaben nie in grundsätzlicher Weise geweigert hat, das Kind in den Herkunftsstaat zurückzubegleiten (vgl. nun allerdings ihr Schreiben vom 2. April 2009, dazu E. 3.7); vielmehr befürchtet sie eine Trennung vom Kind, die bereits anlässlich der Einreise, bei erlaubter Einreise aber auch aufgrund einer Freiheitsstrafe wegen contempt of court oder wegen einer Ausweisung infolge Auslaufens des Visums vor Abschluss des Sorgerechtsverfahrens, ferner auch durch Wegnahme des Kindes wegen nachträglich erfolgter Obhutszuteilung an den Vater erfolgen könnte.

3.5 Sofern keine Trennung von der Mutter stattfindet, die im Übrigen vorher während rund zehn Jahren in den USA gelebt hat, ist eine Rückführung von Y. ohne Weiteres möglich; erst und nur die Trennung von der Mutter würde ihn in eine unzumutbare Lage im Sinn von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ bringen.

Das Kind kann als U.S.-amerikanischer Bürger problemlos einreisen. Hingegen ist die Einreise der Mutter nicht gesichert; die Zentralbehörde der USA hat klar zum Ausdruck gebracht, dass das der Mutter ausgestellte Visum keinen Anspruch auf Einreise und auf Verbleib gibt und dass sie (die Zentralbehörde) keine dahingehenden Garantien abgeben kann. Das Angebot der Zentralbehörde, die zuständigen Grenzbehörden vorher über die Einreise zu informieren, und die Empfehlung an die Mutter, bei der Einreise dem CBP-Inspektor den schweizerischen Rückführungsentscheid vorzulegen, vermag nicht zu genügen, ändert doch dies nichts am Umstand, dass ungewiss bleibt, ob die Mutter gemeinsam mit dem Kind einreisen könnte oder ob sie an der Grenze zurückgehalten würde. Ebenso wenig ist für den Fall der erlaubten Einreise gesichert, dass die Mutter bis zum Abschluss des Sorgerechtsverfahrens in den USA bleiben kann und dass sie nicht vorher (beispielsweise, wenn ihr die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verboten wäre und sie deshalb fürsorgeabhängig werden sollte) ausgewiesen wird, was vermutlich eine Trennung vom Kind zur Folge hätte, weil dieses während des Sorgerechtsverfahrens als ward of court in den USA bleiben müsste.

Sodann hat der Court of Common Pleas of Centre County, Pennsylvania, dem Vater mit Entscheid vom 4. August 2008 die alleinige Obhut zugesprochen (X. is granted sole physical custody of the child, Y.), und es stellt sich daher die Frage, ob dies im Fall einer erlaubten Einreise in die USA zu einer sofortigen Trennung von Mutter und Kind führen würde.

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Schliesslich hat der Court of Common Pleas of Centre County, Pennsylvania, mit demselben Entscheid vom 4. August 2008 festgehalten, dass die Beschwerdegegnerin mehrfach gegen richterliche Anordnungen verstossen habe (Z. is hereby found in contempt of court for violating this Court's Orders of January 9, 2008 and February 13, 2008, by failing to return the child to the United States on or before January 26, 2008, and by failing to honor X.'s periods of physical custody. Z. is hereby found in contempt of court for violating this Court's Order of February 13, 2008, by failing to cooperate with X. in securing a U.S. passport to allow the child to return to the United States. Z. is hereby found in contempt of court for violating this Court's Order of April 24, 2008, by failing to appear and apply for a United States passport for the child). Aufgrund der von der amerikanischen Zentralbehörde gelieferten Auskünfte ist davon auszugehen, dass sich die Mutter damit nach U.S.-amerikanischem Recht strafbar gemacht hat, auch wenn es sich lediglich um einen civil contempt of court handelt und es als gerichtsnotorisch gelten darf, dass es dabei nicht automatisch zu einer Straffolge kommt, sondern eine Strafe erst durch den Richter ausgesprochen werden muss.

3.6 Bei dieser speziellen Sachlage ist die Rückführung grundsätzlich anzuordnen, aber es muss sichergestellt sein, dass es nicht aus einem der drei genannten Gründe (Einreisesperre bzw. vorzeitige Ausweisung; Obhutszuteilung an den Vater; unbedingte Freiheitsstrafe) zu einer Trennung von Mutter und Kind kommt und sich dadurch der Ausschlussgrund von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ verwirklichen würde.

Bezüglich der beiden im Zuständigkeitsbereich des amerikanischen Richters liegenden Rückführungsbedingungen hat der Instruktionsrichter der II. zivilrechtlichen Abteilung mit Blick auf einen sog. undertaking bzw. safe harbour order (vgl. Beaumont/Mceleavy, The Hague Convention on International Child Abduction, Oxford 1999, S. 156 ff. und 167; Bach/Gildenast, a.a.O., Rz. 140 f.; Zürcher, Kindesentführung und Kindesrecht, Diss. Zürich 2005, S. 154 ff. und 163 ff. sowie Anwendungsbeispiel für den vergleichbaren Fall «Debbie» auf S. 123 f.) mit dem am Court of Common Pleas of Centre County, Pennsylvania, zuständigen Richter Kontakt aufgenommen.

Dieser hat mit Schreiben vom 31. März 2009 versichert, dass er die Anordnung vom 4. August 2008, womit die Obhut dem Vater zugeteilt wurde, mit dessen Zustimmung sofort aufheben wird [...].

Sodann hat der amerikanische Richter zugesichert, dass die Mutter keine unbedingte Freiheitsstrafe wegen contempt of court zu gewärtigen hat [...].

3.7 [...]

3.8 Zur einreise- und aufenthaltsrechtlichen Rückführungsbedingung ist klarzustellen, dass den amerikanischen Behörden keinerlei Verpflichtungen auferlegt werden können und auch tatsächlich nicht auferlegt werden: Die Gefahr der Trennung von Mutter und Kind schafft grundsätzlich eine Unzumutbarkeit für das Kind im Sinn von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ, und mit der Abgabe der erwähnten Garantien bzw.

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der Ausstellung eines anderen Visumstyps wird lediglich die Voraussetzung dafür geschaffen, dass keine Trennungsgefahr und damit keine Unzumutbarkeit für das Kind im Sinn von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ besteht, so dass der entsprechende Verweigerungsgrund für eine Rückführung des Kindes in die USA wegfällt. [...]

Mit Blick auf den - an sich nicht zu erwartenden - Fall, dass die Mutter von einer (vollständigen und mit allen notwendigen Unterlagen versehenen) Gesuchstellung absieht, ist auf die Ausführungen in E. 3.3 bzw. die konstante bundesgerichtliche Rechtsprechung und die einschlägige Literatur zu verweisen, wonach sich im Zusammenhang mit der Begleitung eines Kindes nicht auf eine Gefahr berufen darf, wer diese selbst geschaffen hat, weil diesfalls anzunehmen ist, dass der betreffende Elternteil seine eigenen Interessen über diejenigen des Kindes stellt (BGE 130 III 530 E. 2 S. 535; Urteile 5P.310/2002, E. 3.4; 5P.71/2003, E. 2.4.2; Kuhn, a.a.O., S. 1099; Siehr, Münchner Kommentar zum BGB, 3. Aufl., München 1998, N. 61a Anh. II zu Art. 19 EG BGB). Gleiches muss für denjenigen Elternteil gelten, der es in der Hand hätte, durch entsprechende Vorkehrungen eine Gefahr zu beseitigen, der dies aber in Verletzung seiner Mitwirkungspflichten unterlässt. Es hat deshalb bei der grundsätzlich anzuordnenden Rückführung zu bleiben, wenn die Mutter sich nicht in gehöriger Weise um Garantien bzw. ein Visum im genannten Sinn bemühen sollte.

3.9 [...]